Natürlich kann es mal vorkommen, dass wir aus der Balance geraten. Ich traue niemandem, der mir erzählt, dass das bei ihm/ihr nie passiere. Bei solchen Menschen habe ich eher oft das Gefühl, dass sie sich an ein Ungleichgewicht gewöhnt haben. Eine schräge Art von Balance im wörtlichen und übertragenen Sinne!
Vielleicht merken viele Menschen auch gar nicht mehr, dass sowohl ihr Körper als auch ihr Geist beständig damit beschäftigt ist, immer wieder eine Art Balance herzustellen. Wenn ich Dir einen Stein zuwerfe und Du ihn fängst, arbeiten tausende kleinste Muskeln in Deinem Körper daran, Dich dabei nicht umfallen zu lassen.
Und manchmal schmeißt eben jemand so einen Stein quasi in unseren Kopf. Bevor Du Dich versiehst, hast Du ihn schon gefangen (denn wir können keine Informationen verarbeiten, ohne sie zu verarbeiten). Dann sind dort in Deinem Gehirn so einige Mechanismen am Werk, um dieses Gleichgewicht wieder herzustellen, selbst wenn das nicht immer auf Anhieb gelingt.
Manchmal ist das natürlich sehr anstrengend. Also kommen Leute daher, die erzählen Dir, dass Du lieber überhaupt nicht mehr aus dem Gleichgewicht kommen solltest. Das sei so viel besser für Dich.
Ich halte das für genauso unsinnig, wie das übereifrige Putzen mit Desinfektionsmitteln, um Krankheiten zu vermeiden. Die Menschen sind durch den Sauberkeitswahn in den letzten Jahrzehnten nicht gesünder geworden.
Und Du kommst nicht besser ins Gleichgewicht, nur weil Du jede Art von Ungleichgewicht zu vermeiden versuchst oder gar einfach leugnest, dass das überhaupt passiert.
Ungleichgewicht ist ein Teil des Gleichgewichts
Hast Du je Eat, Pray, Love gesehen? Dieser Satz des weisen alten Mannes am Ende?
„Wegen Liebe Gleichgewicht verlieren, ist oft Teil von Leben in Gleichgewicht.“
Ketut, Eat Pray Love
Da springt Julia Roberts auf und lässt sich doch auf die Liebe ein!
Ja, ich glaube, genau so ist das Leben gedacht.
Manchmal ist es super entspannend, genau in der Balance zu schweben und das Gefühl zu haben, gerade passt einfach alles. Außen und innen. Ruhe. Keine hohen Wellen oder irgendetwas, was Kraft braucht.
Aber Leben ist ein Wechselspiel zwischen Spannung und Entspannung. Natürlich muss das keine negative Spannung sein, auch wenn es bei mir diese Tage genau das war (die Details sind nicht wirklich wichtig). Dennoch bin ich auch dafür dankbar. Denn es hat mir einmal mehr gezeigt, dass ich es meistern kann.
Ich habe meinen Ärger in diesem Moment bewusst genutzt um Klarheit in verschiedene Angelegenheiten zu bringen. Ich musste nicht zornig aufstampfen oder es in mich reinfressen. Sondern ich habe aktiv das Gleichgewicht um mich und in mir wieder hergestellt.
Als das Leben mich auf das Hochseil geschickt hat, hab ich nicht trotzig gesagt „Nein, ich brauche keine Stange, ich bin ja immer im Gleichgewicht, ätsch!“ Sondern ich habe die Stange (Ärger) genommen und sie eingesetzt. Und so bin ich auf die andere Seite gekommen, ohne herunterzufallen.
Vielleicht mag es Menschen geben, die sich von nichts und niemandem mehr berühren lassen. Auf die das Leben um sie herum keinen Einfluss mehr hat. Ich gehöre dazu nicht und will es auch nicht.
Alle meine Gefühle sind wertvoll und sie passieren nie „in der Mitte“. Sie tragen mich nach rechts, nach links, nach oben und nach unten. Das macht aber nichts, ich bin ja trainiert.
Und außerdem fühlt es sich verdammt lebendig an.