Rassismus

Warum ich nicht „die Weiße“ sein will.

Es ist dieser Tage sehr leicht, sich als Opfer zu fühlen.

Ich bin übrigens auch Opfer geworden.

Von Rassismus.

Nein, Du musst Dir nicht nochmal mein Profilbild zur Sicherheit anschauen.

Ja, ich bin weiß.

Und deswegen wurde mir gesagt, ich müsse mich jetzt mal mit Rassismus beschäftigen.

Das finde ich rassistisch.

Und zwar so richtig!

Denn dieses Urteil wurde NUR aufgrund meiner weißen Hautfarbe gefällt.

Bin ich rassistisch?

Ja, bin ich.

Ich glaube, wir sind es alle.

Denn wir leben noch nicht lange genug in einer Gesellschaft, die frei ist von rassistischen Erziehungsmustern und Prägungen.

Mir ist das schon lange bewusst und so arbeite ich auch bewusst daran, meine inneren Vorurteile zu überwinden, sobald ich spüre, dass eines in mir aufsteigt.

Ich entscheide mich dann bewusst dafür, meine Meinung zu ändern.

Doch manches hat sich auch im Laufe meines Lebens einfach verändert.

Als ich jung war beispielsweise, konnte ich farbige Männer nicht wirklich gut riechen. Ich war überzeugt davon, dass schwarze Männer anders riechen als weiße. Und ich weiß, dass viele Menschen mir da zustimmen würden, denn das ist tief im weißen Bewusstsein verankert. Ich habe selbst lange behauptet, dass es wirklich so wäre und fühlte mich damit immer irgendwie komisch, aber was sollte ich tun? Es war halt so…. war ja kein Problem, solange man sich nicht körperlich zu Nahe kam.

Vor einigen Jahren hat sich das überraschenderweise geändert. Die schwarzen Männer riechen plötzlich nicht mehr so komisch! Haha, das ist natürlich ein Scherz. Ich vermute, dass ich etwas erlebt habe, was mein Unterbewusstsein vom Gegenteil davon überzeugt hat, also sprich… dass meine Überzeugung Quatsch ist. Vielleicht war es ja der heiße, enge Tanz, den ich mal mit einem attraktiven, schwarzen Mann in der Disco hatte? Wer weiß…

Im übrigen ist dieses Geruchs-Vorurteil auch anders herum fest verankert: Es gibt genug Aussagen von schwarzen Menschen darüber, dass „Weiße komisch riechen“. Das ist also kein einseitiges Ding.

Wer ist also „der Böse“?

Mir ist also durchaus klar, dass ich kein Unschuldslamm bin oder bereits perfekt nicht-rassistisch.

Doch was mich an dieser ganzen Rassismus-Debatte, die gerade wieder aufflammt, trotzdem wirklich stört ist, dass es hier ganz klar definierte Opfer und Täter gibt:

Der schwarze Mensch ist in der (westlichen) Gesellschaft benachteiligt.

Der weiße Mensch sollte sich damit auseinandersetzen. Denn der schwarze tut es ja ohnehin schon gezwungenermaßen.

Und wenn ein schwarzer Mensch rassistisch ist, dann nur, weil man zu ihm rassistisch war.

Überhaupt sollte man als weißer Mensch – also als Täter – ganz vorsichtig sein, sich überhaupt dazu zu äußern.

Denn praktisch alleine das Schreiben über das Thema ist ja schon rassistisch. (Müsste man sonst darüber schreiben?)

Das alles erscheint mir viel zu vereinfacht. Und unfair.

Ich fühle mich als weißer Mensch diskriminiert.

Und das darf ich ja eigentlich schon gar nicht schreiben, bei all den Privilegien die ich genieße. Und ich kenne den wahren Schmerz der schwarzen Menschen in unserer Gesellschaft doch gar nicht!

Wenn mir allein aufgrund meiner Hautfarbe also Privilegien zugeschrieben und Wissen oder Mitgefühl abgesprochen werden, dann ist das für mich Rassismus.

Und das kommt mir irgendwoher verdammt bekannt vor….

Mein Leben in der Bronx.

Vielleicht liegt es daran, dass ich einer Gegend in München aufgewachsen bin, die wir selbst „Guardini-Bronx“ nannten.

Ein sozialer Brennpunkt.

Meine Familie war arm. Mein Vater im Gefängnis. Meine Mutter Sozialhilfe-Empfängerin.

Ich lernte früh, möglichst nicht aufzufallen, da meine Mama Angst hatte, dass uns sonst vielleicht das Jugendamt holen würde.

(Bloß nicht auffallen! Woher kenne ich das nur? Ach ja, das erzählte mir kürzlich eine schwarze Bekannte auch über ihr Leben.)

Als ich Teenager war, gab es um mich herum eine Menge Cliquen hauptsächlich ausländischer Jugendlicher, die mir – obwohl ich sozial nicht besser gestellt war als sie – wohl auch einige Privilegien und Nichtwissen unterstellten. Ich war oft eine Einzelgängerin. Weil ich deutsch war.

Was maße ich mir an?

Ich höre schon die Stimmen:

„Das ist ja nett Christina. Aber das kann man überhaupt nicht vergleichen und deswegen weißt Du noch lange nichts über das Leben von Schwarzen in Deutschland und wie es ist, z.B. ständig angestarrt zu werden oder schlechter behandelt!“

Und ich frage mich, woher wollt Ihr das wissen? Weil ich nun ein paar Sätze aus meinem Leben erzählt habe?

Weil ich weiß bin?

Vielleicht wäre es gut, an dieser Stelle mal kurz innezuhalten, den Zorn etwas zurückzuschrauben und nachzudenken.

Wenn das geschehen ist, sage ich gerne:

Stimmt.

Ich weiß nicht viel darüber, wie es ist, als schwarzer Mensch in einer weißen Gesellschaft zu leben.

Ich weiß nicht viel darüber, wie es ist, als behinderter Menschen unter vorwiegend nicht-behinderten Menschen zu leben.

Ich weiß nicht viel darüber wie es ist, als islamistischer Mensch unter Menschen vorwiegend anderer Religion zu leben.

Das alles macht mich aber nicht automatisch zum Täter.

Ich glaube nicht an Opfer!

Ich glaube, diese Opfer-Täter-Dynamik führt uns nirgendwo hin.

Es ist das gleiche Wir-gegen-die-anderen-Spiel, das wir schon seit Jahrhunderten spielen und das noch nie sinnvoll war, aber einigen wenigen Menschen so große Vorteile bringt, dass es immer wieder, immer weiter angeheizt wird.

Und auch meine Freundin spielte es mit.

Wir waren plötzlich nicht mehr einfach nur Freundinnen.

Wir waren plötzlich eine schwarze und eine weiße Freundin.

Ich sagte ihr, dass ich das nicht wolle, aber sie sagte nur:

„Das ist einfach so. Du musst verstehen, was ich Dir mitteilen will! Du sollst nur verstehen, wie es mir gerade mit dem Thema Rassismus geht, nur das will ich Dir erklären. Wenn Du das nicht verstehen willst, dann verleugnest Du da etwas!“

Ach ja, ist das so?

Wie sollte man sich bitteschön gegen so einen Satz wehren, ohne als Verleugnerin von Rassismus dazustehen?

Wie sollte ich gegen so eine Aussage ankommen, ohne ignorant zu wirken?

Verlorener Posten. Jedes weitere Argument verstärkt ja nur die „Tatsache“, dass ich da etwas verleugne. Wahrscheinlich bestärkt das ja dieser ganze Artikel!!!

Und trotzdem.

Nein.

Ich will nicht in das Wir-gegen-Euch-Spiel einsteigen, nur weil es gerade IN ist, dass sich jetzt „mal alle weißen gefälligst mit ihren rassistischen Anteilen“ beschäftigen!

Ich würde viel lieber wieder mit meiner Freundin zusammensitzen, lachen, diskutieren und Pläne dafür schmieden, wie wir mehr Liebe in diese Welt bringen können!

Und natürlich hätte ich auch ein offenes Ohr dafür, wenn sie mir über schmerzliche Erfahrungen mit Rassismus erzählen will. Nur würde ich dabei gerne in der Rolle der Freundin bleiben, anstatt „die Weiße“ zu sein.

Oder ist das etwa nicht möglich?

Sowas von naiv!

Du denkst, das ist naiv im Angesicht dessen, was überall auf der Welt passiert?

Wenn gerade die ganze Welt in Aufruhr geriet, weil ein unschuldiger Schwarzer von zwei weißen Arschlöchern getötet wird, dann will ich „mehr Liebe“?

Ich glaube, es ist naiv zu glauben, dass Wut und Zorn und Missionierung etwas daran ändern.

Ich glaube, dass z.B. Neugier und Respekt etwas ändern.

Und wie echter Respekt vor dem Erleben anderer Menschen geht, das lehrte mich vor einigen Jahren Kafka:

Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von den Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüßtest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen vor einander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle…

Aus einem Brief Kafkas an Oskar Pollak, 8.11.1903.

Ja stimmt, ich weiß nichts von Dir!

Wir wissen alle praktisch nichts voneinander.

Und Du musst auch gar nichts von mir wissen, um mich zu respektieren als Mensch.

Du musst einfach nur checken und respektieren, dass Du auch nichts über mich weißt!

Das reicht völlig.

Dann können wir neugierig aufeinander werden und vielleicht sogar… in Frieden miteinander leben.

Rassismus ist nur ein blödes, veraltetes, völlig überflüssiges Konzept.

Alles Liebe
Christina

2 Kommentare zu „Warum ich nicht „die Weiße“ sein will.“

  1. Liebe Christina,
    wunderschön, wie du deine Gedanken über Rassismus in Worte verpackt hast. Ich teile viele deiner Gedanken und hatte schon mehrere Gespräche über dieses Thema mit meiner 16-jährigen Tochter. Zum Beispiel empfinden es viele Schwarze als rassischtisch, wenn Ihnen ein Weißer in ihre Haare fasst. Ich kann gut verstehen, dass sich dieses sehr unangenehm und übergriffig anfühlt, ich wollte es auch nicht, dass mich jemand ohne zu fragen berührt. Das ist völlig repektlos! Aber für mich ich das ebenso schlicht weg ein menschliches Bedürfnis, etwas BEGREIFEN zu wollen. Genauso wie viele blonde Menschen davon berichrten in südländischen Ländern an ihren Haaren berührt zu werden. Und ja, es sollte auch von meiner Seite eher über gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme gesprochen werden, als für ein Begreifen wollen verurteilt zu werden.
    Liebe Grüße
    Bianka

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